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7 Gründe dafür, warum ich für die Fehler meiner Schüler dankbar bin!

Fragst du dich jetzt „Was, habe ich da richtig gelesen?“ Ja, das hast du. 🙂

Ich weiß, in unserer heutigen Gesellschaft ist der Begriff des Fehlers in der Regel negativ belegt. Aber ich finde, dass man ihm damit ziemlich unrecht tut, denn Fehler kann man sich auch zu Nutze machen. Für mich bringt der Fehler in meiner lerntherapeutischen Arbeit Vorteile mit sich, die ich nicht missen mag. Welche das sind, verrate ich dir in den folgenden Punkten.

1. Ohne Fehler könnte ich keine Diagnostik durchführen

Für mich ist es wichtig, meine Schüler thematisch an der Stelle abzuholen, an der es für sie anfängt, inhaltlich schwierig und unverständlich zu werden. Was bringt es mir, mit einem Schüler Texte zu lesen, wenn die Buchstaben und ihre zugehörigen Laute noch nicht sicher erkannt werden? Welchen Vorteil soll es haben, das Buchrechnen zu trainieren, wenn das Rechnen über den Zehner hinweg noch nicht verstanden wurde

Also gilt meine Suche genau dieser ersten Bruchstelle, um hier die Lücke zu schließen und dann anschließend die weiterführenden Themen systematisch drauf aufbauen zu können. Zugegeben – die Suche nach dieser Bruchstelle fordert öfters mal meine detektivischen Fähigkeiten heraus, da sie nicht immer sofort klar erkennbar ist. Tatsächlich helfen mir dann die Fehler dabei, ihr doch auf die Schliche zu kommen. Wie das?

Die Kinder bekommen von mir Aufgaben zum Bearbeiten, die wir im Nachgang besprechen. Insbesondere die Gespräche über die fehlerhaft gelösten Aufgaben geben mir die Möglichkeit, die Gedankengänge bei meinen Schülern besser zu verstehen. Durch Rückfragen komme ich dann nach und nach dahinter, wie es genau zu diesen Gedankengängen kam, und dringe auf diese Weise langsam zum eigentlichen Knackpunkt vor. Und so kann ich dann den passenden Therapieplan für den jeweiligen Schüler entwickeln.

2. Fehler sind das beste Feedback, das ich mir wünschen kann

In meiner Praxis helfe ich meinen Schülern dabei, ihre Probleme im Lesen, Schreiben oder Rechnen zu überwinden. Dabei ist es mein Ziel, für sie das jeweilige Thema so aufzubereiten und auf sie zugeschnitten zu erklären, dass sie den fachlichen Hintergrund nachvollziehen können. Ganz einfach gesprochen erkläre ich ein Thema und lasse meine Schüler im Anschluss daran Aufgaben bearbeiten. Wenn alles optimal verläuft, können sie die Aufgaben ohne nennenswerte Schwierigkeiten lösen. Ein paar kleine Fehler mögen dabei sein, aber mit etwas Unterstützung lassen sich diese schnell korrigieren.

Wenn ich ehrlich bin, läuft es allerdings nicht immer so glatt. Manchmal klappt das Lösen der Aufgaben nicht. Meine Schüler kommen ins Stocken, raten die Ergebnisse und bauen viele Fehler ein. Ich könnte es mir einfach machen, in dem ich die Schuld hierfür bei meinen Schülern suche. Sie hätten ja einfach bei meinen Erklärungen besser aufpassen können. Aber das wäre aus meiner Sicht zu kurzsichtig.

Nein, es geht hier überhaupt nicht um die Schuldfrage, wer für die Fehler verantwortlich ist. Es geht stattdessen ganz allein um eine neutrale Rückmeldung an mich, dass die Erklärungen aus welchem Grund auch immer nicht ausreichend gewesen waren, damit das Fachliche schließlich in den Aufgaben angewandt werden konnte. Das mag daran liegen, dass ich zu schnell erklärt habe, nicht die richtigen Worte gefunden habe, es zu kompliziert war oder meine Schüler vielleicht tatsächlich nicht zugehört haben. Das gilt es dann herauszufinden und in einem neuen Erklärungsansatz zu berücksichtigen. Und sinkt dann die Fehlerquote – perfekt, dann habe ich den richtigen Hebel gefunden und meine Schüler haben fachlich einen riesengroßen Schritt nach vorne gemacht. Ohne die Fehler würde ich vermutlich weitererklären und nicht merken, dass meine Erklärungen ins Leere gehen und ich meine Schüler schon längst abgehängt habe.

3. Fehler sind Helfer!

Hast du diesen Satz schon einmal gehört? Ich finde ihn ganz toll, denn in ihm steckt so viel Potential.

Fehler sind in unserer Gesellschaft heutzutage recht negativ belegt. Sie bekommen viel Aufmerksamkeit und lenken schnell von dem ab, was schon so richtig gut läuft. Schauen wir uns aber den Begriff „Fehler“ einfach einmal ganz neutral und objektiv an. Was bedeutet das? Einfach gesprochen zeigt ein Fehler etwas auf, was noch nicht so ganz richtig gelaufen ist. Und die Betonung liegt hierbei auf „noch nicht“. Ein Fehler bedeutet für mich, dass es jetzt gerade noch nicht klappt wie gewollt, aber ich die Möglichkeit habe, etwas zu ändern, damit es das nächste Mal besser funktioniert. Insofern ist ein Fehler einfach nur ein „Handheben“ mit der Bedeutung „Achtung, hier kannst du dich noch verbessern.“

Und das ist mir auch bei meiner Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern in meiner Praxis wichtig. Fehler sagen nichts über die Qualität eines Menschen aus, sondern zeigen NUR ein Entwicklungsfeld auf, an dem man arbeiten kann. Und dazu gibt es häufig mehrere Ansatzmöglichkeiten. So können wir zum Beispiel ein verstärktes Augenmerk auf das Erkennen von Doppelkonsonanten legen, wenn hier häufiger Fehler auftreten. Ein anderer Ansatz wäre, die Kompetenzen bei der Selbstkontrolle von eigenen Texten zu fördern. Das Ganze würden wir aber nicht angehen, wenn uns die Fehler nicht darauf hingewiesen hätten. Und eine Entwicklung könnte nicht stattfinden, wenn wir die Fehler auf sich hätten beruhen lassen. Von daher kann ich wirklich sagen, dass die Fehler meine heimlichen Lernhelfer sind.

Und wer könnte meine Worte besser unterstreichen, als das Wort „Fehler“ selbst? Schau mal, was passiert, wenn du die Buchstaben umstellst…

Anagramm: Durch Umsortieren der Buchstaben wird aus dem Wort „Fehler“ das Wort „Helfer“. Die Buchstabenkärtchen stammen aus dem Spiel „Wort für Wort“, Ravensburger Verlag, 2018

4. Die Konzentrationskurve bedingt die Fehleranfälligkeit

Es gibt Faustformeln zur Berechnung der Konzentrationsspanne bei Schülern. Diese Formeln liefern jedoch in der Regel nur Richtwerte, aber keine zuverlässigen Größen. Die tatsächliche Konzentrationsfähigkeit eines Schülers hängt von so vielen Faktoren ab, dass ich tatsächlich immer lieber individuell auf die aktuelle Leistungsform schaue, um dann gegebenenfalls entsprechend agieren zu können. Und hierbei nutze ich insbesondere gerne die Fehleranfälligkeit als Informationsquelle.

Ich kenne meine Schüler und habe damit in der Regel ein gutes Gefühl dafür, wie sie mit einem bestimmten Thema oder mit einer gewissen Übung klarkommen sollten. Wenn ich dann aber voll daneben liege und es vor Fehlern nur so wimmelt, dann gilt es innezuhalten. Entweder lag ich mit meiner Einschätzung wirklich total daneben oder – was meist der Fall ist – die Konzentration bei meinem Schüler ist in dem Moment im Keller.

Hellhörig werde ich aber auch dann, wenn sich die Fehler während eine Übung auf einmal anfangen zu häufen, ohne dass der Schwierigkeitsgrad in der Übung gestiegen ist oder Störfaktoren in der Arbeitsumgebung entstanden sind. Auch an dieser Stelle mache ich dann vorerst einen Stopp. Meist reicht eine kurze Pause, nach der es dann wieder deutlich konzentrierter mit der Übung weitergehen kann.

5. Mit Fehlern den Fortschritt aufzeigen

Wenn wir in unseren Stunden mit einem neuen Thema starten, bewahre ich mir immer sehr gerne die ersten Arbeitsergebnisse auf oder mache mir ein Foto von den Arbeitsmaterialien und dem Arbeitssetting als Erinnerung. Tatsächlich vergessen die Kids recht schnell, auf welchem Leistungsniveau sie mal gestartet waren. Auch bei mir kommt es ab und an vor, dass die Erinnerung hieran etwas verschwimmt – vor allem dann, wenn sich das Thema über eine längere Zeit hinzieht. Du bist sicherlich kaum überrascht, wenn ich dir erzähle, dass diese Arbeitsproben meist entweder lückenhaft oder mit recht vielen Fehlern versehen sind.

Wenn das Thema dann durch ist oder zwischendurch vielleicht ein kleiner Motivationsschupps benötigt wird, hole ich sehr gerne diese „Erinnerungsstücke“ wieder hervor und zeige sie meinen Schülern. Ich liebe diese Momente einfach. Die Augen werden groß, ein Lächeln tritt ins Gesicht und es kommt oft der erstaunte Ausruf „Was, das habe ich mal geschrieben?“ Und mehr braucht es nicht, um meinen Schülern ganz deutlich zu zeigen, welche Fortschritt sie seitdem schon erreicht haben.

6. Fehler als Vertrauensbeweis

Wenn meine Schüler:innen Fehler machen, bedeutet das für mich einen enormen Vertrauensbeweis. Denn derjenige, der Fehler macht, gibt damit indirekt eine Schwäche zu. Hier ist man unsicher, hier fehlt einem (noch) die notwenige Kompetenz. Und das kann unangenehm sein, es insbesondere nach außen hin zugeben zu müssen. Nicht jeder soll es immer unbedingt wissen. Bei manchen Schüler:innen schwingt sogar die Angst mit, dass sie als Mensch durch die Fehler abgewertet werden.

Wenn sich meine Kids mit mir nun in den Dschungel der Rechtschreibung und des Rechnens wagen und sich damit auf unsicheres Terrain begeben, werden sie unweigerlich Fehler machen. Und das wissen sie! Aber das ist auch nicht schlimm, denn ohne Fehler gibt es keine Entwicklung. Und ohne Entwicklung bleiben diese Fehler.

Die Frage ist ganz alleine, wie mit den Fehlern umgegangen wird. Da meine Lernkinder in der Regel diesbezüglich schon ihre negativen Erfahrungen gemacht werden, möchte ich ihnen unbedingt die Sicherheit geben, dass sie sich in unseren Stunden in einem geschützten Raum befinden, in dem jeder Fehler und jede Frage erlaubt ist.

Anfänglich sind sie meist noch zögerlich dabei. Aber nach einiger Zeit merke ich wie sie auftauen und wenn sie sich dann auf einmal ganz offen auf neue Methoden sowie Inhalte einlassen und diese bereitwillig ausprobieren, dann weiß ich, dass sie bei mir in der Therapie angekommen sind und wir unsere Vertrauensbasis gefunden haben.

7. Fehler verwandeln trockene Aufgabenstellungen in unterhaltsame Übungen

Last but not least – Fehler sind ein wunderbares Werkzeug, um die Anwendung des Gelernten zu üben. Es mag zunächst einmal ein wenig komisch klingen, aber ich möchte dir zur Anschauung zwei Beispiele geben, wie ich „Fehler“ gerne einsetze.

Wenn ich mit einem Kind das Plusrechnen im Zahlenraum 100 übe, dann ist es für mein Therapiekind ziemlich dröge, neben der Schule nun auch von mir noch ein weiteres Arbeitsblatt mit lauter Aufgaben als Hausaufgabe aufzubekommen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass sich die Motivation bedeckt hält, wenn es an meine Hausaufgaben geht. Gebe ich stattdessen ein selbst gelöstes Blatt mit und betone, dass ich hier aber stark vermute, doch den ein oder anderen Fehler eingebaut zu haben, dann sieht es ganz anders aus. Jetzt sind die Rollen vertauscht und mein Therapiekind darf nun bei mir auf Fehlersuche gehen. Auch wenn es sich eigentlich „nur“ um das gleiche dröge Arbeitsblatt handelt, bewirkt die abweichende Aufgabenstellung bei der Motivation Wunder.

Eine Königsdisziplin ist natürlich die Korrektur von selbst geschriebenen Texten. Hui, das ist manchmal echt schwer, allen seinen Fehlern auf die Spur zu kommen. Um mit meinen Kids zunächst einmal das Prinzip der Selbstkorrektur zu üben, schreibe ich gerne selber Fehlertexte, bei denen nun mein Kind in die Rolle des Lehrers schlüpfen darf, um hier den Rotstift zu schwingen. Natürlich müssen dabei aber die Regeln für die Selbstkontrolle angewandt werden. Die Fehlersuche gestaltet das Ganze jedoch als unterhaltsames Spiel, bei dem mein Kind unbewusst die Praxis übt, während ein stumpfes Abfragen der Regeln für die Selbstkontrolle vermutlich keine Effekte zeigen würde.

In beiden Beispielen geben mir die Fehler somit die Möglichkeit, spielerisch an das Thema heranzugehen.

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